Mittwoch, November 16, 2005

Stevies Neue

Lange habe ich darauf gewartet und nun halte ich sie endlich in den Händen. Der Veröffentlichungstermin hat sich mehrmals über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr verschoben, bis 'A time to love' dann doch der breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Um es vorweg zu nehmen - Es ist kein Werk, das mich persönlich umhaut - schon gar nicht nach dem fabelhaften Predebüt von 'So what the fuss'. Wider meinen Erwartungen gute Uptempo-Nummern mit prominenter Beteiligung präsentiert zu bekommen, lenkt einen dieses Album in eine etwas andere Richtung...

Die Songs unter der Lupe (ohne auf die eigentlichen Inhalte einzugehen):

If your love cannot be moved
türkisch/arabisch anmutende Rhythmen und Percussionsausstattungen nehmen den Zuhörer mit in ein Wüstenzelt, die Luft geschwängert vom Rauch der Wasserpfeifen... Man schaut interessiert den Darbietungen einer Bauchtänzerin zu. Ab und zu wundert man sich, wer der Typ mit der Brille im Hintergrund ist und was Kim Burell denn hier in der Wüste zu suchen hat... Nee, eigentlich ganz okay... eher ein untypisches Lied für Stevie Wonder.

Sweetest somebody I know
Midtempo... Wurde der Grundbeat vom vorigen Stück übernommen? Ist das grade Bossa? That's our Stevie... Listen, he can also play the Mundorgel.

Moon blue
Blue names it.

From the bottom of my heart
Die quietschige Mundharmonika leitet in diesen Schmusesong... Eine Liebeserklärung... was sonst... hätte gut und gerne 5 bpm mehr vertragen...
-...
-...
- zzzz, grummel
- (Aus dem Off halblaut:) Professor? Professor? Aufwachen!
- Grunz - Äääh ja, ... ein paar Schläge pro Minute mehr vertragen können. Instrumental ist das in diesem Tempo ganz nett, der Text wirkt allerdings behäbig. Behäbig - ... - ja, behä...- Schnarch.

Please don't hurt my baby
Unisono-Rocker mit funky Attitüde. Ein hübsches annähernd kraftvolles Jam-Stück... leider wirken die Bläsersätze sehr 'schon mal gehört'. Männliche und weibliche Shouting-Chöre wechseln sich ab... auch wenn der Vergleich mit Justin Timberlake's Senorita etwas vermessen scheint... der von Justin macht mehr Spass.

How will I know
Bisher steht es vier zu eins im Vergleich von Mid/Slowsongs zu Uptempo-Nummern. Dies ist wiederum eine Ballade mit Aisha Morris im Barjazz-Bluesstil. Der Besen streicht sanft über die Snaredrum, das Piano legt traurig die Akkorde und verbindet jene mit den üblichen, niedlichen Läufen, der Tonartwechsel am Ende des Stückes kommt mir bekannt vor.

My love is on fire
Eine Midtemponummer! Durchaus groovig gedacht... aber irgendwie melancholisch. Lustigerweise erinnern mich die Streichersätze sehr an Jamiroquai - nur nicht ganz so tanzbar. Interessant sind hieran noch die Dynamikunterschiede, die den Song zum Ende hin ein wenig aufblühen lassen.
Feuer? Feuer? Sparflamme? Funken? ...Streichholzschachtel in die Hand genommen und vergessen, was man damit machen wollte. Ich bin gemein, ich weiss.

Passionate raindrops
Hmmm... was soll ich sagen, ohne mich zu wiederholen? Eine kleine Assoziation gefällig? Kennt Ihr diese Schulaufführungen von durchaus begabten Kids? Zumindest aus US-amerikanischen Filmen?... hmmm. Symathieapplaus und Sprechchöre der Eltern, engsten Freunde und BewundererInnen.

Tell your heart I love you
Bass und Ping-Ding... Midtempo... Mundharmonika... wir sitzen auf der Veranda und schauen über die weite Öde... Es riecht nach Whiskey und Schweiss...Die Sonne brennt die letzten Pflanzen aus dem Boden. Am Horizont kommt ein rostiger Pick-up über die staubige Piste gebrettert. Man ist wohl irgendwie verliebt... meint es aber nicht wirklich ernst... und langweilt sich... jemand Lust, auf Mucke machen?

True love
Heiligabend... aber traurig.

Shelter in the rain
Erster Weihnachtsfeiertag...
Könnte auch perfekt von Elton John gespielt werden... unter Umständen transponiert, da er nicht diese Höhen von Stevie hinbekommt... auf einer Benefiz-Veranstaltung für Hurrikan-Opfer... und alle weinen ob der voraussehbaren Changes.

So what the fuss
HURRA, HURRA... PRINCE an der Gitarre - EN VOGUE as backgroundsingers - NICE ONE:..hört sich nach einer spassigen Session an.

Can't imagine love without you
Man hat viel miteinander erlebt, man ist durch Höhen und Tiefen gegangen und hat die Schule erfolgreich überstanden. Es war schon von anfang an klar, dass man mehr als nur befreundet ist.... and the first kiss came at the prom while dancing blues for the first time. Die Zukunft ist ungewiss aber ein kleines Reihenhaus und drei wie auch immer geartete Kinder schweben in den Gedanken der applaudierenden Mitstreiter...

Positivity
Uptempo... mit JacksonFive-Gitarrenlicks. Ich weiss nicht...
Das Interssante hier ist die mitunter erstaunliche Textaufteilung...

A time to love
Ein dramatisch und dynamisch ein nettes Lied mit einem inhaltlichen Rundumschlag... unterstützt von India Arie.
Meines Erachtens hätte das eine oder andere Sechzehntel-Percussionfill weniger prominent ausfallen können.

...und so bleibt dieses Album leider (?) eine stereotype Version seiner vorangegangenen Arbeitsnachweise.
Aber versteht das nicht falsch... das Album ist an sich okay und die Voicings und Changes an den Stellen, an denen die Songs ansonsten etwas zu abgedroschen wirken würden, sind zumindest für Musiker eine Anregung dafür, wie Kompositionen etwas getuned werden können, damit der Produzent den Song abnickt.

Es ist KEIN sog. Sommeralbum. Viele Songs hören sich an, ob sie im Herbst-Winter, so um ein einsames Christmas herum entstanden sind und man sich sehr sehr einsam fühlt... und ein wenig über Liebe abschweift.
Wenn man Stevie Wonder generell mag, oder wenn man ein einsames Weihnachten vor sich hat und man den Hang dazu hat, sich in jenen Momenten selbst zu bemitleiden, oder wenn eine Liebe noch da ist, aber eben nicht mehr so sehr und man das zelebrieren möchte, dann ist diese Album die richtige Untermalung. Ansonsten reicht es, sich die CD irgendwann mal in der Bibliothek auszuleihen oder sich die hörbaren Stücke 'If your heart cannot be moved', 'Please don't hurt my baby', 'A time to love' und 'So what the fuss' runterzuladen. Echt.
Echt schade - Liegt das an meinen übersteigerten Erwartungen oder daran, dass man sich trotz Prominenz und Wohlhaben nicht wirklich gut fühlt und somit nur noch traurige Songs produzieren kann? Ich weiss nicht. Vielleicht muss man sich auch erst reinhören oder die Platte in Momenten einlegen, in denen man sich ungut fühlt.

Fazit:
Man kann - aber muss dieses Album nicht kaufen.


Gegendarstellung:
Das Album ist super, jedes einzelne Lied entspricht dem hohen innovativen Standard von Stevie Wonder. ;)